„Ein Sudanese hat mit einem Südafrikaner so viel gemeinsam wie ein Norweger mit einem Italiener“, sagte Christoph Plate von der Konrad Adenauer Stiftung auf dem Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn. Plate hat dort Anfang Juni die Gesprächsrunde The power of narratives: How to tell the „whole story“ moderiert. Mit ihm auf der Bühne: die Journalistinnen Catherine Gicheru aus Kenia und Yuen-Ying Chan aus Hong Kong. Mit seinem Vergleich spielt Plate darauf an, dass Deutsche den Kontinent Afrika häufig als ein Land wahrnehmen. Dabei gibt es dort mindestens 55 anerkannte Staaten. Zum Vergleich: Die EU hat gerade einmal 28 Mitgliedsstaaten – und niemand hier käme auf die Idee, sie alle als ein Land wahrzunehmen.
Stereotype im Journalismus: Afrika, Amerika, China
Einen ähnlich blinden Fleck in der Geographie stelle ich übrigens fest, wenn Mitmenschen das Wort „Amerika“ mit den USA gleichsetzen. Amerika ist ein Doppelkontinent, die USA sind dort nur ein einzelnes Land. Bei der Fußball-WM zeigt sich das übrigens ganz deutlich: Es tritt keine Mannschaft „Amerika“ an, sondern 2018 sind dabei: Uruguay, Argentinien, Mexiko, Costa Rica, Panama, Brasilien, Peru und Kolumbien – und es gibt auf dem Kontinent noch einige Länder mehr. In den lateinamerikanischen Teilen dieser Region spricht man darum auch von den „Americas“. Und das Trumpsche Zitat „Make America great again“ sagt schon darum sehr viel über Ignoranz aus. Besonders schlimm: Wenn deutsche und europäische Medien diese Formulierung genauso falsch einsetzen. Und damit sind wir mitten im Thema.
Yuen-Ying Chan nannte die Stereotype im Journalismus zu China: „Von Diktatoren geführt, kauft Deutschland auf, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt“. Catherine Gicheru nennt die Klischees in Zusammenhang mit Afrika: „Tod, Krankheit, zu viele Flüchtlinge, Hunger, ‚Afrikaner sind arm, aber lachen immer.‘“ In allen Artikeln in westeuropäischen Medien gehe es darum, dass der Kontinent früher kolonialisiert war, und heute kämpft. „Dabei gab es bereits eine Geschichte des afrikanischen Kontinents, lange bevor die Weißen ihn kolonialisiert haben“, sagt sie. Auf Deutsche Welle gibt es zu diesem Thema einen Artikel zum Weiterlesen.
Was können wir gegen Stereotype im Journalismus tun?
Die Frage ist, was sie, was wir alle gegen diese Stereotype machen können. Catherine Gicheru fordert ihre afrikanischen Kollegen auf, die Geschichten über den Kontinent selbst in die Hand zu nehmen, mehr Verantwortung zu übernehmen, und mit den jeweils nationalen Geschichten in die Öffentlichkeit zu gehen, sichtbarer zu werden. Yuen-Ying Chan rät den chinesischen Kolleginnen und Kollegen, mehr darüber zu lernen, wie man sich und seine Geschichten besser vermarktet.
Trotz dieser Tipps bleibt am Ende die Frage, ob man jemals die „ganze Geschichte“ erzählen kann. Und das Fazit lautet: Nein! Denn es gibt immer unzählige Perspektiven, die man selten in einem einzelnen Beitrag unterbringen wird. Was für ein differenziertes Bild des Kontinents Afrika, von China und vielen anderen Dingen sorgen kann, ist der redaktionelle Ansatz. Journalistinnen und Journalisten müssen Themen aus verschiedenen Perspektiven erzählen, wenn sie ein möglichst umfassendes Bild schaffen wollen. Und da das eben nicht in einem Beitrag möglich sein wird, muss zumindest darauf geachtet werden, dass man ein Thema immer und immer wieder in die Planung aufnimmt. „Hatten wir doch gerade!“ könnte dazu führen, dass Stereotype zunehmen. Besser ist es, in diesen Fällen nach einem neuen Ansatz zu suchen. Africa on the Move, ein Projekt der Deutschen Welle, versucht genau das in den Ländern des Kontinents: Weg von der üblichen Berichterstattung über Krisen, Kriege und Hunger hinzu Berichten über Innovation und die Dinge, die funktionieren.
Hilfreich gegen Stereotype im Journalismus ist auch mehr Vielfalt in den Medienhäusern. Hier sind die Neuen Deutschen Medienmacher eine Anlaufstelle. Auch die neue Broschüre des DJV in Kooperation mit Sozialhelden kann für mehr Vielfalt und dadurch weniger Klischees sorgen: Sie soll jungen Menschen mit Behinderung dabei helfen, in den Journalismus einzusteigen. Last but not least: Ständige Weiterbildung hilft dabei, Scheuklappen abzulegen.
Stereotype gibt es mit vielerlei Bezug
- Die Floskelwolke geht übrigens mit ihrer regelmäßigen Suche nach Phrasen und Floskeln ebenfalls in die richtige Richtung. Es lohnt sich, dem Twitteraccount zu folgen, um ab und zu daran erinnert zu werden, dass man eben selbst auch fehlbar ist.
Unser kostenloses Floskelbingo zur #WM2018 mit 6 × 24 Feldern: https://t.co/fhd2tGd9Zu [PDF, DIN A4, 73 kb] #DieMannschaft #GER #WorldCup #bullshitbingo ⚽ pic.twitter.com/F5rDiEgt8h
— Floskelwolke (@Floskelwolke) 17. Juni 2018
- Auf Leidmedien.de werden Klischees in Zusammenhang mit Behinderung genannt.
- Stereotype gibt es auch in Algorithmen, die schließlich von Menschen gemacht werden. Und das hat Auswirkungen auf die digitale Medienvielfalt. Dagegen will die Medienanstalt Berlin Brandenburg mit 10 Thesen vorgehen.
Zum Weiterlesen
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat zum Thema ebenfalls einen Text auf der Seite.
Im Reuters Journalismus-Handbuch geht es an einer Stelle ebenfalls um Stereotype.
Der Deutschlandfunk Kultur hat sich mit Stereotypn im Journalismus beschäftigt.